Geschlechtertürme

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Grundriss des Wohnturms der Familie Rutzenlacken
Reste eines Patrizierturms am Angerl

Die Reichenhaller Patrizier des hohen und späten Mittelalters besaßen repräsentative Wohnsitze. Diese bürgerlichen Salinenbetreiber hatten die Siedeanlagen ursprünglich von den kirchlichen und adeligen Eigentümern gepachtet, waren aber im Laufe der Zeit immer einflussreicher geworden und gleichermaßen zu Besitzern aufgestiegen. Sie bezahlten nur noch sehr geringe Pachtzinsen und konnten die Sieden und Brunnenanteile an ihre Nachkommen vererben. Die Familien waren im „Rat der Sechzehn“, dem Stadtrat, vertreten und konnten so die Geschicke der Stadt mitbestimmen.

In Reichenhall sind bisher drei Geschlechter- oder Patriziertürme bekannt:

Der Turm Tauerstein scheint lediglich urkundlich auf. Er befand sich etwa an der Ecke Kammerbotenstraße - Nikolaiweg. Ein Heinrich Tauerstein erscheint 1252 in den Quellen. Aus dessen Familie gingen im Laufe der Zeit mehrere Richter hervor. Wohl durch Einheirat gelangte der dem Reichenhaller Patriziat entstammende Konrad Fröschl zur Mitte des 14. Jahrhunderts in den Besitz des Wohnturms Tauerstein. Seine Nachkommen nannten sich „Fröschl zum Tauerstein“. Der Besitz genoss seit dem Spätmittelalter eine Gerichtsimmunität. Nachdem die Familie 1494 ihre Salinenanteile an den Herzog verkauft hatte, ging auch das „Herrenhaus“ Tauerstein 1521 an Herzog Wilhelm IV. über, der dort bei Aufenthalten in Reichenhall regelmäßig Quartier bezog. In der Folge wurde das Gebäude allgemein als „Herzogenstock“ bezeichnet. Dieser an die Stadtmauer angelehnte und den Mauerzug überragende Baukomplex war von zwei Erkertürmchen mit „Welschen Hauben“ gekrönt. Diese galten als typisches Zeichen für einen so genannten „gefreiten Sitz“. Nach 1600 begann allmählich der Verfall des Anwesens, das im 18. Jahrhundert aufgeteilt und verkauft wurde.

Die Familie Rutzenlacken war über sechs Generationen (ca. 1150 bis 1365) in Reichenhall ansässig, trat aber auch als Gewerke (Betreiber) eines Kupferbergwerks in der damals bayerischen Stadt Kitzbühel in Erscheinung. Am Nordende des Florianiplatzes befand sich ihr Wohnturm, dessen Reste sich bis heute in den Mauern des „Sichlerhauses“ am Florianiplatz 3 verbergen. Auf den Reichenhaller Stadtansichten von Hans Donauer (um 1590) und Michael Wening (ca. 1700) ist ein Geschlechterturm – wohl jener der Familie Rutzenlacken - zu erkennen.

Vor einer größeren Baumaßnahme am Angerl im Jahr 2017 wurden bei einer archäologischen Kampagne Reste eines Patrizierturms aus dem 13. Jahrhundert entdeckt, die nicht erhalten werden konnten. Die Wände hatten eine Stärke von ca. 80 cm, das Fundament bis zu 150 cm. Die Grundfläche des Turms hatte die Maße 10,40 m x 14 m. Bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dürfte das Gebäude zerstört oder abgetragen worden sein.

Während der Restaurierung des Salinenkastens (ReichenhallMuseum) wurden 2010 mächtige behauene Steinquader in den Mauern entdeckt, die als Reste eines Geschlechterturms aus dem 13. Jahrhundert interpretiert werden können.


Quellen:

Fritz Hofmann: Ein rätselhaftes Bauwerk, Befestigung, Wohnturm oder Kirche am Florianiplatz in Bad Reichenhall, Heimatblätter 3/1962

Johannes Lang: Geschichte von Bad Reichenhall, 2009

Reichenhaller Tagblatt v. 22.04.2017

Joachim Zeune: Geschlechtertürme [1]

Bearbeitung: Andreas Hirsch